26.04.1918
Krefeld
–
22.03.2010
Maroubra
Werner Samuel wuchs in einer jüdischen Familie in dem kleinen Dorf Hüls bei Krefeld auf, wo sein Vater eine Metzgerei betrieb. Nach 1933 wurde Werner schnell mit Übergriffen von HJ-Angehörigen konfrontiert – um sich besser verteidigen zu können, lernte er zu boxen. Werner begann eine Lehre in einem Krefelder Schuhgeschäft, die er aber nach dessen „Arisierung“ abbrechen musste. Er wurde Zuschneider in einer Krawattenfabrik. Im November 1938 verschleppte die Polizei Werner, seinen Bruder Heinz und seinen Vater für drei Monate in das KZ Dachau. Die anschließend geplante Auswanderung nach Trinidad scheiterte. Im Dezember 1941 wurde Werner mit seiner Familie über den Düsseldorfer Schlachthof in das Ghetto Riga deportiert. Im Gegensatz zu seinen Eltern und der Schwester Helga überlebten Werner und Heinz sowohl das Ghetto Riga wie auch ihre Verschleppung in weitere Arbeitslager und die Todesmärsche kurz vor Kriegsende. Nach kurzem Aufenthalt in Schweden emigrierten sie nach Australien und bauten dort ein neues Leben auf.
Literatur und Quellen:
Gerichtsentscheidung des LG Hamburg vom 2.8.1977, in: Justiz und NS-Verbrechen Band XLII, Nr. 843;
Interview Werner Samuel (Maroubra/Australien, 8.5.1995): http://collections.ushmm.org/search/catalog/vha2546;
Mellen, Werner: Juden in Krefeld-Hüls. Gegen das Vergessen (mit einem Beitrag von Ingrid Schupetta über die Deportation nach Riga am 11.12.1941), Krefeld 2003;
Samuel, Heinz: Kurzer Bericht von unserem Leidensweg, in: Hülser Heimatblätter, Ostern 1988, Heft 35, S. 311-316. (Berichte über seine Erlebnisse im Ghetto Riga);
Samuel, Heinz: in: Short report on our sufferings (June 1945), in: Jewish Survivors Report. Documents of Nazi Guilt, August 1945 (online: http://www.gelsenzentrum.de/Riga_Report_Rosenthal_Voosen_Samuel.pdf)
Text: Joachim Schröder
Werner Samuel wuchs in einer liberalen, alteingesessenen jüdischen Familie in dem kleinen Dorf Hüls bei Krefeld auf. Die Familie Samuel lebte bereits seit dem 18. Jahrhundert in Hüls, wo es 14 jüdische Familien gab. Werners Vater war von beruf Metzger. Er hatte drei Geschwister: Heinz, Hilda und Helga. Nach der Machtübernahme wurden die jüdischen Kinder im Dorf isoliert und von den nichtjüdischen Kindern und der HJ schikaniert und angegriffen. Werner war bis dahin begeisterter Radsportler und musste nun den Verein verlassen. Gemeinsam mit seinem Bruder Heinz ging er zur Sportabteilung des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten in Krefeld. Hier begannen die beiden, den Boxsport zu erlernen, um sich zukünftig besser verteidigen zu können – sie waren beide talentiert und nahmen auch an den Makkabi-Meisterschaften teil.
Für die Brüder wurde und blieb der Boxsport ein zentraler Bestandteil ihres Lebens, wie Werner später in einem Interview (1995) bekannte: „It saved my life on quite a few occasions during the war, in the camps.“
Die allgemeine Schule musste Werner verlassen, er begann eine Lehre im Schuhhaus Hirsch (später: Grüterich) in Krefeld, wurde aber nach dessen Arisierung entlassen. Jetzt fand er Anstellung als Zuschneider in einer Krefelder Krawattenfabrik.
Nach dem Novemberpogrom wurde Werner auf seiner Arbeitsstelle verhaftet und gemeinsam mit seinem Bruder, seinem Vater und anderen jüdischen Hülser Männern zunächst von der Dorfpolizei eingesperrt, dann nach Krefeld und von dort in das KZ Dachau verschleppt. Aufgrund seiner guten physischen Kondition geriet er selbst dort nicht in Schwierigkeiten, wurde aber Zeuge, wie viele seiner Leidensgenossen schikaniert, misshandelt und ermordet wurden.
Werner und Samuel hätten gerne das Land verlassen, doch es fehlten ihnen die Möglichkeiten und die Mittel. Sie waren nur aus dem KZ entlassen worden, weil sie angegeben hatten, schnellstmöglich nach Trinidad auszureisen. Doch ein dann verhängter Einwanderungsstop machte dies zunichte. Sein Vater hatte stets abgelehnt, zu emigrieren. Er war der Ansicht, dass ihm als altem Frontkämpfer nichts geschehen werde. Lediglich Werners Schwester Hilda schaffte es 1939, das Land zu verlassen. Sie ging nach London und arbeitete dort als Haushaltshilfe. Nach dem Novemberpogrom wurde die Situation für die Familie immer schwieriger. Sie mussten ihr Haus an der Moerser Straße 22 verkaufen und von nun an in ihrem eigenen Haus zur Miete wohnen; andere Familien wurden ebenfalls in das Haus eingewiesen.
Deportation nach Riga, Dezember 1941
Am 10.12.1941 wurde Werner mit seinen Geschwistern und seinen Eltern von Krefeld mit der Straßenbahn nach Düsseldorf gebracht, wo sie sich im Schlachthof einfinden mussten. Hier wurde ihr gesamtes Hab und Gut durchsucht, ihr verbliebenes Vermögen konfisziert. Nachdem sie die Nacht in der Viehhalle hatten verbringen müssen, wurden sie am darauffolgenden Tag in das Ghetto Riga deportiert. Wenige Tage nach ihrer Ankunft, am 22.12.1941, wurden Werner und Heinz zu dem Arbeitskommando geschickt, welches das KZ Salaspils aufbauen musste. Hier blieb er bis Juni 1942. Tausende Häftlinge überlebten die Torturen in Salaspils nicht – Werner und Heinz hatten Glück, da sie als Boxer gelegentlich gegen Angehörige der SS-Wachen antreten durften und bei diesen „beliebt“ waren.
Als die beiden Brüder im Juli 1942 wieder in das Ghetto zurückkehrten, war ihr Vater bereits nicht mehr am Leben, ihre Mutter und die kleine Schwester Helga waren abgemagert und geschwächt. Wer arbeitsfähig war, musste Zwangsarbeit leisten. Die Schwachen wurden „aussortiert“, aus dem Ghetto weggebracht und von ermordet. Aber auch so gab es täglich Erschießungen oder Erhängungen – etwa wegen Lebensmittelschmuggel, oft auch nur aus Mordlust der SS-Wachen. Am 2.11.1943, die meisten jüdischen Arbeitskommandos waren außerhalb des Ghettos eingesetzt waren, versammelte die SS sämtliche verbliebenen Alten und die meisten Kinder des Lagers. Sie wurden nach Auschwitz gebracht und sofort ermordet. Unter ihnen fanden sich auch Paula und Helga.
Werner erfuhr dies erst viel später, er war bereits im Sommer 1943 zum Aufbau des KZ Kaiserwald geschickt worden. Von dort kam er in das Arbeitslager Dondangen, ein Außenlager des KZ Kaiserwald. Hier waren die Lebensbedingungen besonders schockierend. Lagerleiter war SS-Hauptsturmführer Gustav Sorge, ein Sadist, der Häftlinge eigenhändig misshandelte und ermordete. Als die Rote Armee immer näher kam, wurden die Häftlinge auf sogenannten Todesmärschen weiter nach Westen verlegt – wer zu schwach war, um zu marschieren, wurde von den SS-Wachen kurzerhand erschossen.
Werner kam über Libau in das KZ Stutthof und von dort in das Arbeitslager Burggraben. Ende Januar 1945 wurden das KZ und seine Außenlager aufgelöst und die Häftlinge auf weiteren Todesmärschen fortgetrieben. Etwa 3.000 vollkommen geschwächten Häftlinge, darunter Werner Samuel, wurden bei Gdingen in drei alten Schiffen eingesperrt, von denen die SS nach einigen Tagen, nachdem schon Hunderte Häftlinge an Entkräftung gestorben waren, zwei versenkte. Walter befand sich auf dem dritten Schiff und war einer der wenigen Überlebenden.
Befreiung und Emigration nach Australien
Nach seiner Befreiung kam Werner mit zahlreichen anderen KZ-Überlebenden im Rahmen einer großen Hilfsaktion der schwedischen Regierung nach Malmö/Schweden, später nach Göteborg. Dort kam er langsam wieder zu Kräften – und lernte bei einem Tanzabend Ende 1946 seine spätere Frau Edith kennen, eine ungarische Holocaust-Überlebende. Die beiden heirateten am 25.5.1947 und beschlossen bald, Europa zu verlassen. Sie entschieden sich, wie seine Schwester und sein Bruder Heinz, für Sidney, Australien. Hier begannen sie im August 1948 ihr neues Leben und gründeten eine eigene Familie. Werner baute erfolgreich eine eigene Krawattenfabrik auf – und blieb sein Leben lang und bis ins hohe Alter ein aktiver Boxer.
Nach Deutschland hatte Werner Samuel alle Bande abgebrochen. Nur zweimal kehrte er zurück: das erste Mal 1977, als er als Zeuge im Verfahren gegen den ehemaligen Kommandanten des KZ Salaspils, den SS-Verbrecher Gerhard Maywald aussagte. Maywald war seit 1950 unbehelligt als Kaufmann tätig gewesen. Obwohl zahlreiche ehemalige Überlebende seine zahllosen, grausamen Morddaten bezeugten, erhielt er lediglich vier Jahre (!) Gefängnis wegen Beihilfe zum Mord in 320 Fällen. Werner Samuel verlor den letzten Glauben an Gerechtigkeit und zeigte sich noch nach Jahre später erschüttert von der wohlwollenden Behandlung des NS-Verbrechers sowie von dem Prozess insgesamt. Er wollte sich nie wieder als Zeuge für ein solches Verfahren zur Verfügung stellen: „Just forget about it. Why should I upset myself for these false people?“ Ein zweites Mal kam er 1987 mit seinem Bruder Heinz und seiner Schwester Hilda zu einem Besuch in seine ehemalige Heimat.
Text: Joachim Schröder
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