27.11.1923
Opladen
–
31.07.2018
Wuppertal
Herbert wuchs mit seinem jüdischen Vater Alex, seiner evangelischen Mutter Grete und seinem Bruder Albert in Wuppertal auf. Im Alter von 13 Jahren infizierte er sich mit dem Polio-Virus und ist seitdem von der Hüfte abwärts gelähmt. Im Frühjahr 1940 begann Herbert eine Ausbildung zum Orthopädiemechaniker, da ihm ein Maschinenbaustudium als „Mischling“ verwehrt blieb. Auch seine Ausbildung durfte er nicht beenden. Stattdessen musste er ab Sommer 1942 Zwangsarbeit leisten. Am 18.9.1944 wurde Herbert zusammen mit seinem Bruder Albert über den Schlachthof nach Lenne-Vorwohle deportiert und von dort weiter nach Berlin verschleppt. Dort waren die beiden im Sammellager in der Iranischen Straße untergebracht, das vorher ein jüdisches Krankenhaus gewesen war, und mussten Bombenschäden rund ums Lager beseitigen. Im April 1945 wurden sie von der Roten Armee befreit. Ihr Vater starb ein Jahr nach Kriegsende an den Folgen schwerer Misshandlungen, zugefügt in Auschwitz durch den SS-Arzt Josef Mengele. Herbert kehrte nach Wuppertal zurück. In der Nachkriegszeit war er im Vorstand der neu entstandenen jüdischen Gemeinde aktiv und setzte sich stark für einen jüdisch-christlichen Austausch ein. Bis zu seinem Tod am 31.7.2018 besuchte Herbert Schulen und andere Veranstaltungen und berichtete über sein Leben.
Literatur und Quellen:
Schrader, Ulrike: „Sternvergehen“. Die jüdische Familie Cohnen aus Elberfeld. Quellensammlung und Materialien, nicht nur für die Schule, Wuppertal 2015
Text: Stefan Mühlhausen
Herbert Cohnen wohnte mit seinem jüdischen Vater Alex und seiner evangelischen Mutter Grete in Wuppertal. Vater Alex Cohnen war gelernter Kaufmann und besaß ein eigenes Zigarrengeschäft, Mutter Grete war gelernte Kindergärtnerin. Im Mai 1928 bekam die Familie mit Sohn Albert noch weiteren Zuwachs. Ein Jahr später wurde Herbert sechs Jahre alt und kam auf eine Privatschule. Die Familie und insbesondere Vater Alex war in Wuppertal bis zur Machtübernahme der Nazis sehr angesehen, nicht zuletzt weil Alex Cohnen im Ersten Weltkrieg für das Deutsche Reich an der Front kämpfte und so auch im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten organisiert war.
Obwohl Alex Cohnen zusammen mit seinem Bruder Hermann noch am 23.10.1934 das Ehrenkreuz für Frontkämpfer „Im Namen des Führers und Reichkanzlers“ verliehen bekam, brach für die Familie Cohnen mit der Machtübernahme durch die Nazis eine ganz schwere Zeit an. Trotz großem Druck blieben der jüdische Familienvater Alex und seine evangelische, sog. „arische“ Frau Grete weiterhin zusammen, Grete stand zu ihrem jüdischen Mann und wollte sich nicht von ihm trennen.
Während des Novemberpogroms kamen der Familie noch ihre Kontakte zu Gute. Der Blockwart, welcher im gleichen Haus wohnte, kam sehr gut mit Alex Cohnen aus, da dieser ihm auch regelmäßig Zigarren aus dem eigenen Handel mitbrachte. So kam es, dass der Blockwart in der Nacht vom 09. Auf den 10. November anrückende SA-Männer überreden konnte, die Wohnung der Cohnens in Ruhe zu lassen und sie unverrichteter Dinge wieder wegzuschicken. Alex Cohnen musste etwas später sein Zigarrengeschäft aufgeben und die Familie wurde gezwungen ihre städtische Wohnung zu verlassen und in ein sog. „Judenhaus“ zu ziehen.
Sohn Herbert infizierte sich im Sommer 1937 während einer langen Fahrradtour mit dem Polio-Virus, erlitt dadurch eine Kinderlähmung und lag daraufhin knapp fünf Monate im Krankenhaus. Es war zu diesem Zeitpunkt der einzige bekannte Fall einer Kinderlähmung in Westdeutschland. Herberts Beine sind seitdem gelähmt und er sitzt bis heute im Rollstuhl. Anfangs kam Herbert sehr schlecht damit klar und er dachte an Suizid. Die Familie war außerordentlich bemüht, sämtliche antisemitischen Repressionen von ihm fernzuhalten, um ihn nicht noch weiter zu belasten. Fast drei Jahre später hatte Herbert neuen Lebensmut erlangt und er begann am 20. März 1940 eine Ausbildung zum Orthopädiemechaniker bei den Bigger Werkstätten. Eigentlich wollte er Maschinenbauingenieur werden, doch als sog. „Mischling“ war es ihm nicht gestattet zu studieren. Mit dem Beginn der Ausbildung zog Herbert nach Bigge in ein Heim der katholischen Josefs-Gesellschaft.
Nach Kriegsbeginn erhielt die deutsche Bevölkerung den Hinweis, das eigene Hab und Gut auf mehrere Wohnung (beispielsweise bei Freunden)zu verteilen, damit bei einem Bombenangriff nicht direkt alles auf einmal vernichtet würde. Alex Cohnen nahm diesen Hinweis ernst und brachte einen gepackten Koffer zu einem befreundeten Nachbarn. Dabei wurde er von einem anderen Nachbarn beobachtet und von diesem direkt wegen Schwarzhandels bei der Gestapo angezeigt. Alex musste den Koffer daraufhin bei der Gestapo abgeben und unterschreiben, dass er die Sachen dem Winterhilfswerk stiften würde. Zwei Wochen später sah seine Frau Grete den zuständigen Gestapobeamten auf der Straße, dabei trug er einen Wintermantel aus eben genau diesem angeblich von Alex Cohnen gestifteten Koffer. Einer von vielen heute bekannten Fällen, in denen sich Mitglieder der Gestapo persönlich bereicherten.
Bis zum Sommer 1942 schafften es Alex und Grete Cohnen, dass ihr Sohn Herbert als sog. „Mischling“ weder eine ansonsten verpflichtende jüdische Kennkarte besitzen, noch einen sog. „Judenstern“ tragen musste. Als diese Freistellung im April 1942 drohte zurückgezogen zu werden, sammelte Herbert viele Schreiben und Zeugnisse von der ehemaligen Schule, dem Ausbildungsbetrieb und dem Chefarzt der Kinderabteilung des städtischen Krankenhauses, die ihm bescheinigten, dass Herbert ein intelligenter, tüchtiger und kameradschaftlicher Junge sei, der keinerlei sog. „jüdisches Verhalten“ an den Tag legen würde. Aber diese Bescheinigungen halfen ihm nicht. Ab Mai 1942 galt Herbert als sog. „Geltungsjude“ und damit rechtlich als Jude, musste eine jüdische Kennkarte beantragen und den sog. „Judenstern“ tragen. Sein Ausbildungsbetrieb konnte ihn nicht weiter beschäftigen und Herbert verlor seinen Ausbildungsplatz.
Stattdessen musste Herbert wie auch sein Bruder Albert und Vater Alex ab dem Sommer 1942 Zwangsarbeit leisten. Alex musste in einer Metallwarenfabrik, in einer Farbmühle und in einer Großhandlung für Säcke arbeiten, die Söhne Herbert und Albert in einem Rüstungsbetrieb der Schrauben für Flugzeugmotoren herstellte. Herbert, musste sich eine Genehmigung besorgen, um als Jude mit der Schwebebahn fahren zu dürfen und so zur Arbeit zu kommen. Herbert beantragte außerdem im April 1944, dass er aufgrund seiner körperlichen Behinderung „nur“ 60 Stunden in der Woche Zwangsarbeit leisten musste. Dem wurde stattgegeben. Zusätzlich wurde die Familie ein weiteres Mal gezwungen die Wohnung zu wechseln. Sie kamen in das ehemalige jüdische Altersheim in Wuppertal-Elberfeld in der "Straße der SA 73" (heute: Friedrich_Ebert-Straße), welches die Nazis zu einem sog. „Judenhaus“ für sog. „Mischehen-Familien“ umfunktionierten.
Als sich in der Nacht auf den 25. Juni 1943 ein Bombenangriff auf Elberfeld ereignete, gingen zum Glück nur die Fensterscheiben der Cohens zu Bruch. Vater Alex wollte am nächsten Morgen schnell los, um Abdeckfolie für die Fenster zu besorgen. In Eile zog er sich eine Jacke über, auf der kein sog. „Judenstern“ aufgenäht war. Daraufhin wurde er von einem Nachbarn denunziert und von der Gestapo ins Gefängnis gebracht. Dort blieb er bis er im Januar 1944 nach Auschwitz deportiert wurde. Der Begriff für dieses damalige „Verbrechen“ war das sog. „Sternvergehen“. Zynischer weise wurde der Begriff „Sternvergehen“ eins zu eins bei dem späteren Wiedergutmachungsverfahren der Cohnens von den Nachkriegsbehörden verwendet. Als einer der wenigen überlebte Alex Cohnen die Befreiung von Auschwitz. Allerdings führte der bekannte Lagerarzt, Josef Mengele, medizinische Experimente mit ihm durch, so dass er nach der Befreiung erst in ein Lazarett kam, wo seine Kopfverletzungen, die von Mengele rührten, behandelt wurden. Alex kam zwar noch zurück in die alte Heimat, verstarb jedoch im Mai 1946 an den Folgen der grausamen Experimente.
Die Söhne Herbert und Albert wurden am 17. September 1944 als sog. „Mischlinge“ nach Lenne-Vorwohle (bei Holzminden) deportiert und von dort weiter nach Berlin in das Sammellager auf der iranischen Straße verschleppt, welches vorher ein jüdisches Krankenhaus war. Herbert und Albert mussten dort Bombenschäden rund ums Lager beseitigen. Im April 1945 wurde das Lager von der Roten Armee befreit. Während Albert nicht länger in Deutschland leben wollte und nach Australien emigrierte, schloss Herbert seine Ausbildung zum Orthopädiemechaniker ab und bestand später sogar die Meisterprüfung. Er heiratete und gründete eine kleine Familie. Außerdem war er noch im Vorstand der neu gegründeten jüdischen Gemeinde Wuppertal aktiv und setzte sich stark für den jüdisch-christlichen Austausch ein. Bis zu seinem Tod am 31.7.2018 lebte Herbert in einem Altersheim in Wuppertal-Heckinghausen und besuchte Schulen sowie Veranstaltungen, um dort als Zeitzeuge das Erlebte wiederzugeben.
Text: Stefan Mühlhausen
Der Stammbaum wird aktuell überarbeitet und ist bald wieder verfügbar. Vielen Dank für Ihre Geduld.