Walter
Rohr
aus Essen
27.11.1917
Essen
–
09.01.1998
Merryck
Walter Rohr wuchs in einer patriotisch gesinnten jüdischen Familie auf. Seine Eltern betrieben ein gut gehendes Haushaltswarengeschäft in Essen-Borbeck. Hier besuchte Walter die katholische Volksschule und anschließend das Gymnasium. Seine beiden älteren Geschwister erhielten rasch eine Ausreiseerlaubnis und emigrierten. Walter verließ das Gymnasium ohne Abschluss und absolvierte eine Klempnerlehre. Er erlebte mit seinen Eltern den Novemberpogrom 1938 und wurde für mehrere Wochen im KZ Dachau inhaftiert. Dank der Unterstützung eines unbekannten Gönners in den USA gelang es, eine Ausreisegenehmigung für Walter zu erhalten. Walter emigrierte über England in die USA, wo ihn die Familie des unbekannten Helfers herzlich aufnahm. Mit einem der letzten Flüchtlingstransporte entkamen auch seine Eltern nach Amerika. Walter trat in die US-Army ein und erhielt die amerikanische Staatsbürgerschaft. Im Mai 1945 besuchte er als US-Soldat seine Heimatstadt - kehrte aber bald zurück und heiratete seine Jugendfreundin. Ein Leben in Deutschland schloss er für sich und seine Familie aus.
Literatur und Quellen:
Sammlung Haus der Essener Geschichte, Ernst Schmidt Archiv: Bestand Familien Loewenstein, Andorn, Rohr - Fotos, Dokumente, Zeitungsartikel; Stammbaum der Familien Loewenstein
Archiv Alte Synagoge Essen: Berichte Walter Rohr und Fritz (Federico) Rohr
Anna Andorn geb. Loewenstein hatte ihrem Neffen Fritz ihr Tagebuch geschickt, das er in Kopie dem Archiv der Alten Synagoge Essen überlassen hat.
Lebensgeschichte Walter Rohr, in: Jugend! Deutschland 1918-1945. Ein Projekt des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln (http://www.jugend1918-1945.de/thema.aspx?s=6192&m=5587&open=6192)
Autorin: Hannelore Steinert
Walter Rohr wuchs in Essen in einer sogenannten „assimilierten“ jüdischen Familie auf. Walters Eltern Alfred und Wilhelmine Rohr geb. Loewenstein betrieben ein gut gehendes Haushaltswarengeschäft in der Bornecker Straße 136 in Essen-Borbeck. Er besuchte hier eine katholische Volksschule und später ein staatliches Gymnasium. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 bereiteten die Eltern rasch die Ausreise aus Deutschland vor. Die beiden älteren Geschwister Julia und Fritz erhielten schon bald die Ausreiseerlaubnis und emigrierten in die USA. Walter verließ das Gymnasium und begann eine Klempnerlehre – er wollte einen Handwerksberuf erlernen, um sich so auf das Exil vorzubereiten. Die Ausreise gestaltete sich aber schwierig, da die finanziellen Mittel hierzu fehlten.
Dann kam ihm ein Zufall zu Hilfe: Eine Cousine in Baltimore (USA), die von Walters Ausreisplänen wusste, hatte einen großzügigen Helfer gefunden: Edgar A. Levi, den die Verfolgungen im NS-Staat erschütterten. Er war bereit Walter in die USA zu holen und reiste deswegen sogar persönlich nach Deutschland, um mit Walter gemeinsam das US-amerikanische Konsulat in Stuttgart aufzusuchen – die Ausreise scheiterte aber, weil das Einreisekontingent der USA bereits ausgeschöpft und die Warteliste noch sehr lang war
Die Novemberpogrome 1938 erlebte er mit seinen Eltern in Essen: SS-Männer zerstörten das Geschäft der Rohrs und randalierten in ihrer Wohnung. Der herzkranke Vater entging der Verhaftung, indem er sich in ein Krankenhaus einweisen ließ, Walter jedoch wurde verhaftet und für mehrere Wochen im KZ Dachau inhaftiert. Glücklicherweise war er jung und gesund und so konnte er den Strapazen und Schikanen standhalten, mit denen die SS gerade die jüdischen Häftlinge terrorisierte. Mit Unterstützung von Edgar Levi gelang es Walters Mutter Wilhelmine, eine Ausreisegenehmigung für den Sohn zu erwirken. Levi machte ein College in England aus, das bereit war, ihn als Student aufzunehmen. Nach der Vorlage der Immatrikulationsbescheinigung für das kommende Semester war die Gestapo bereit, Walter zu entlassen. Unter der Bedingung, das Land auf schnellstem Wege zu verlassen, wurde er nach vierwöchiger Haft aus dem KZ Dachau entlassen.
Im Dezember kam Walter nach England und studierte zunächst an dem College Maschinenbau. Seine Weiterreise in die USA verzögerte sich zunächst, aber im Februar 1940 gelang endlich die ersehnte Ausreise in die USA. Hier fand er schnell eine Stelle als Installateur. Die Geschwister Fritz, Julia und Walter bemühten sich verzweifelt, den Eltern die Ausreise aus Deutschland ebenfalls zu ermöglichen. Erst mit einem der letzten Flüchtlingstransporte am 1. August 1941 und unter strenger Bewachung gelangten Alfred und Wilhelmine Rohr mit wenigen Habseligkeiten über Frankreich, Spanien und Portugal in die USA.
Walter Rohr meldete sich im Frühjahr 1940 zum Militärdienst und kam zur US-Army. Im Juli 1942 wurde ein Gesetz erlassen, demzufolge alle Militärangehörigen die US-amerikanische Staatsbürgerschaft erhielten: Walter war nun endlich Amerikaner. Er kam jedoch nicht zum Kriegseinsatz an die Front sondern wurde zunächst nach Irland versetzt, um dort dort zwei Jahre in der technischen Verwaltung zu arbeiten. Im Oktober 1944 landete Walters Einheit in der Normandie und zog später als Versorgungstruppe in Mönchengladbach ein.
Das Kriegsende hatte Walter Rohr sehnlichst herbeigewünscht und konnte kaum erwarten, Freunde und Verwandte in Essen wieder zu sehen. Am Tag der Kapitulation machte er sich auf den Weg in seine Heimatstadt Essen, doch fast alle Verwandte und Freunde waren nicht mehr auffindbar. In den Akten der Behörden stand: „Abgereist. Bestimmungsort unbekannt.“ Damit wurde die Deportation in die Gettos und Lager umschrieben. Walter Rohr kehrte zurück in die USA und heiratet seine Verlobte Hede. Nach Deutschland wollte er nie mehr zurückkehren.
In den 1980er Jahren begann der Essener Stadthistoriker Ernst Schmidt, die Geschichte der Essener Juden zu erforschen. Er wurde auf Walter Rohr aufmerksam und nahm Kontakt mit ihm auf. Walter Rohr war bereit, über sein Schicksal und seine Familie zu berichten und es gelang Schmidt, anhand zahlreicher Fotos, Dokumente und Berichte die Geschichte der Familie Rohr zu dokumentieren. Walter Rohr starb am 9. Januar 1998 in den USA.
Autorin: Hannelore Steinert