Walter
Kussel
aus Haan
13.12.1895
Haan
–
10.11.1949
Haan
Walter Kussel wurde als zweites Kind des Metzgers Hermann Kussel und seiner Frau Johanna (geb. Moser) in Gruiten geboren, er hatte vier Geschwister. Während des Ersten Weltkriegs war er Soldat und verlor seinen linken Arm. Für seinen Einsatz wurden ihm Kriegsauszeichnungen verliehen. Nach seiner Rückkehr übernahm Walter die Metzgerei seines Vaters. Im Frühjahr 1934 heiratete er Elfriede Kaiser, die evangelisch war. Ein Jahr später kam ihr Sohn auf die Welt. Doch das Familienglück währte nicht lange. Nach 1933 setzten auch in Gruiten die Boykotte den wenigen jüdischen Geschäftsleuten zu. Während des Novemberpogroms wurde die Metzgerei verwüstet, Walter selbst konnte fliehen, sein Bruder jedoch wurde stark misshandelt. Anders als mehrere seiner Geschwister blieb Walter vor den 1941 einsetzenden Deportationen vorerst verschont, weil er in einer „Mischehe“ lebte. Doch Anfang 1944 erhielten er und sein Sohn die Mitteilung, sich zum Abtransport bereit zu halten. Aber nur Walter wurde am 17.9.1944 von der Polizei zum Schlachthof in Düsseldorf-Derendorf gebracht, wo er mit seinem Bruder Max in das Zwangsarbeitslager Holzminden-Lenne verschleppt wurde. Im Februar 1945 wurden beide in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie am 9.5.1945 befreit wurden. Walter kehrte zu seiner Familie zurück, doch er litt schwer unter den Folgen der Lagerhaft. Im November 1949 starb er im Alter von nur 54 Jahren.
Literatur und Quellen:
Koch-Mehrin, Udo: Chronik der jüdischen Familien in Gruiten/Rhld. in der NS-Zeit 1933-1945, o.O. 2012 [Eigenverlag]
Koll, Reinhard: Auswirkungen der „Kristallnacht“ in Haan und Gruiten. Judenverfolgung: Auswertung von Gerichtsakten und Befragungen von Zeitzeugen. Nachdruck, Haan 2006 (Beiträge zur Lokalgeschichte, Bd. 2).
Lekebusch, Sigrid: Not und Verfolgung der Christen jüdischer Herkunft im Rheinland 1933-1945. Darstellung und Dokumentation (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte; 117) Köln 1995
Stadtarchiv Haan Meldekartei Haan I
Stadtarchiv Haan G 154
Autorin: Jasmin König
Walter Kussel wurde im Dezember 1895 als zweites Kind von Hermann und Johanna Kussel geboren. Mit seinen drei Brüdern und seiner Schwester wuchs er in der Gemeinde Gruiten auf, wo die Familie in einem Fachwerkhaus in der Mitte des Dorfes wohnte. Sein Vater war Viehhändler und Metzger. Walter musste für das deutsche Kaiserreich in den ersten Weltkrieg ziehen und wurde dabei verwundet. 1916 verlor er in diesem Krieg seinen linken Arm. Für seinen Einsatz wurden ihm Kriegsauszeichnungen verliehen. Nach seiner Rückkehr übernahm Walter Kussel die Metzgerei seines Vaters. Sie lag im Erdgeschoss ihres Wohnhauses in Gruiten. Im Frühjahr 1934 heiratete Walter Elfriede Kaiser. Sie stammte aus dem benachbarten Vohwinkel und war evangelischen Glaubens. Für ihren Mann Walter konvertierte sie zum Judentum. Ein Jahr später kam ihr Sohn auf die Welt. Sie ließen ihn in die Synagogengemeinde eintragen.
Obwohl die Familie in der Gemeinde beliebt war, bekam Walter die Einschränkungen durch die nationalsozialistische Herrschaft vermutlich recht früh zu spüren. So wurde bereits 1933 das Schlachten nach jüdischem Ritus verboten.
Die Novemberpogrome 1938 hatten auch in Gruiten verheerende Folgen. Walter, seine Frau, sein Bruder Arthur und seine Tante Hanna waren in dieser Nacht in ihrem Haus in Gruiten Dorf. SA-Männer und andere Bürger aus dem Dorf zogen zu dem Wohnhaus der Familie. Mit einem Baumstamm rammten sie die Tür des Hauses ein. Walter schaffte es zwar knapp, sich in der Nachbarschaft zu verstecken, doch seine Frau war noch im Schlafzimmer, als die ersten SA-Männer mit einem Dolch bewaffnet in das Zimmer eindrangen. Nachdem sie sie aufgefordert hatten sich anzuziehen, zogen die beiden SA Männer weiter, um die anderen Bewohner des Hauses zu finden. Arthur versteckte sich auf dem Speicher, doch die SA-Männer fanden ihn und misshandelten ihn schwer. Am Kopf blutend wurde er nach unten gebracht, wo mittlerweile auch seine Frau Elfriede war. Ein SA-Mann äußerte ihr gegenüber, er würde sie nur verschonen, da er ihren Vater gut kenne. Im Laden waren das Fleisch auf die Straße geworfen und die Einrichtung vollständig verwüstet worden. Auch vor der Wohnung der Familie machte die Zerstörungswut nicht halt. Die SA-Männer entwendeten ein Gebetbuch, das ein Erbstück war und das Gewehr Walters aus dem ersten Weltkrieg. Als die SA-Männer Walter nicht finden konnten, drohten sie das Haus anzuzünden, um ihn zum Herauskommen zu zwingen. Elfriede Kussel konnte sie stoppen, indem sie warnte, das halbe Dorf würde mit ihrem Haus abbrennen. Nach anderthalb Stunden, um halb vier nachts, ließen die Männer von der Familie Kussel ab und gingen weiter.
Walter und sein Sohn mussten immer mehr Schikanen erleiden, auch als Elfriede zum Schutz ihrer Familie wieder in die evangelische Kirche eingetreten war. Walter musste sein Geschäft aufgeben und wurde fortan zu Zwangsarbeiten herangezogen; bereits 1939 hatten sie das Radio abgeben müssen, ab 1941 mussten Walter und sein Sohn den Judenstern tragen, sein Sohn durfte außerdem nicht mehr die örtliche Volksschule besuchen. Er wurde zuerst auf eine jüdische Schule in Wuppertal geschickt. Doch auch diese wurde bald darauf geschlossen, sodass er eine Schule in Hagen besuchen musste. Der Weg kostete ihn mindestens eine Stunde pro Richtung. Doch Anfang 1942 wurden alle jüdischen Schulen verboten, Walters Sohn durfte bis 1945 keine Schule mehr besuchen. 1942 versuchte die Familie auch ihren Sohn evangelisch taufen zu lassen. Der örtliche Pastor taufte ihn am 15.5.1942, doch für die Nationalsozialisten machte dies keinen Unterschied. Lediglich vor den Deportationen in die Ghettos in Osteuropa waren Walter und sein Sohn aufgrund der „Mischehe“ bislang verschont geblieben. Aber drei von Walters Geschwistern – Hugo, Arthur und Ernestine – waren verschleppt worden. Niemand von ihnen überlebte den Holocaust.
Doch dann, Anfang 1944, erhielt die Familie die Mitteilung, dass sich Vater und Sohn zum Abtransport bereithalten sollten. Am 17. September 1944 wurde Walter Kussel von der Polizei an seinem Haus abgeholt und zum Schlachthof in Düsseldorf-Derendorf gebracht. Ein Abholbefehl für seinen Sohn lag glücklicherweise nicht vor, der Grund dafür wurde nie bekannt. In Düsseldorf-Derendorf traf Walter seinen Bruder Max, der ebenfalls in einer „Mischehe“ lebte. Sie wurden zusammen mit etwa 250 anderen „Mischehepartnern“ bzw. „Mischlingen“ am nächsten Tag gemeinsam in das Lager Holzminden-Lenne verschleppt. Hier mussten sie entweder beim Aufbau des Lagers oder in der unterirdischen Rüstungsproduktion Zwangsarbeit leisten. Am 25. Februar 1945 wurden sie weiter in das Ghetto Theresienstadt verschleppt, wo sie am 9. Mai 1945 von der sowjetischen Armee befreit wurden.
Walter Kussel kehrte zu seiner Familie zurück. Seine Frau stellte nach dem Krieg zügig Anzeige gegen die Täter der Novemberpogrome. Doch der Prozess kam nur schleppend in Gang. Die Täter wurden mit Strafen zwischen ein und fünfzehn Monaten Haft bestraft. Einige von ihnen wurden im Zuge der Entnazifizierung nur als „Mitläufer“ eingestuft. Walter Kussel litt schwer unter den Folgen der Haftbedingungen. Schon im November 1949 starb er im Alter von nur 54 Jahren.
Autorin: Jasmin König