Imo (Isaak)
Moszkowicz
aus Essen
27.07.1925
Ahlen
–
11.01.2011
München
Imo wuchs mit seinen Eltern, dem Schuster Benjamin und Chaja Moszkowicz, zusammen mit sechs Geschwistern in Ahlen auf. Nach 1933 verschlechterte sich die bereits vorher angespannte finanzielle Lage der Familie durch die Boykottaktionen der Nazis. Aus diesem Grund wanderte der Vater Benjamin im März 1938 zu seiner Schwester nach Argentinien aus und plante von dort die Emigration der gesamten Familie. Die Ausreise, die für den 10.11.1938 vorgesehen war, scheiterte aufgrund des Novemberpogroms. Im Oktober 1939 wurden Imo und seine Familie gezwungen, in ein sogenanntes Judenhaus nach Essen zu ziehen. Imo und seine Brüder Hermann und David mussten bei RWE Zwangsarbeit leisten. Am 22.4.1942 wurden seine Mutter und seine Geschwister Rachla, Moses, Gisela und Amo über den Düsseldorfer Schlachthof nach Izbica deportiert. David, Hermann und Imo wurden ein paar Wochen bzw. Monate später nach Auschwitz gebracht. Neben seinem Vater überlebte Imo als einziger den Holocaust. Nach dem Krieg sagte er in NS-Prozessen als Zeuge aus und war von den milden Urteilen so frustriert, dass er später bei den Auschwitzprozessen ablehnte, auszusagen. Er verwirklichte seinen Kindheitstraum, indem er Schauspieler wurde, ging dann zum Fernsehen und führte bis zu seinem Tod 2011 in über 200 Filmen und Serien Regie.
Literatur und Quellen:
Gummersbach, Hans W.: Der Weg nach Auschwitz begann auch in Ahlen. Vergessene Spuren der jüdischen Gemeinde einer westfälischen Stadt, Essen 2013
Moszkowicz, Imo: Der grauende Morgen. Eine Autobiographie, München 1998
Lebensgeschichte Imo Moszkowicz, in: http://www.jugend1918-1945.de (Projekt des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln) (aufgerufen am 12.08.2015)
Autor: Stefan Mühlhausen
Isaak Moszkowicz, genannt Imo, wurde am 27. Juli 1925 als Sohn des selbstständigen Schumachers Benjamin Moszkowicz in Ahlen geboren. Imo Moszkowicz lebte mit seinem russisch-jüdischen Vater Benjamin und seiner polnisch-jüdischen Mutter Chaja sowie seinen sechs Geschwistern Rachla, Moses, Hermann, David, Aron und Gisela in Ahlen. Der Vater Benjamin war als russischer Kriegsgefangener während des Ersten Weltkriegs nach Deutschland gekommen und danach in Ahlen geblieben. Seine Frau und die damals bereits geborenen Kinder Rachla und Moses folgten ihm dorthin. Im Gegensatz zu ihren Eltern, die nie wirklich eine Schulbildung genossen hatten, gingen Imo und seine Geschwister auf die jüdische Volksschule in Ahlen.
Die finanzielle Situation der Familie war bereits vor 1933 sehr angespannt, da der Vater als Schumacher nicht genug zum Überleben verdiente. Nur durch seinen Nebenverdienst als Zechenarbeiter und eine kleine Invalidenrente konnte er der Familie ein Leben am Existenzminimum ermöglichen. Mit der Machtübernahme der Nazis fiel auch die Invalidenrente für die jüdische Familie weg, so dass sie 1935 die Miete nicht mehr bezahlen konnten. Glücklicherweise stellte die jüdische Gemeinde in Ahlen der Familie eine Wohnung im Gemeindezentrum zur Verfügung.
Das Gemeindehaus, in dem die Familie lebte, wurde bereits vor der Pogromnacht im November 1938 häufiger mit Flaschen und Steinen angegriffen. Freunde von Imo gingen in die Hitlerjugend und wandten sich von ihm ab. Aber es gab zu dieser Zeit auch nicht-jüdische Menschen, die zu der Familie hielten, wie Therese Münsterteicher. Sie versorgte die Familie immer mal wieder mit Lebensmitteln. Zur finanziellen Notlage der Familie kamen Boykottmaßnahmen hinzu, wodurch der Vater Benjamin noch weniger Aufträge als Schuster erhielt und aus dieser Not heraus im März 1938 zu seiner Schwester nach Argentinien auswanderte. Von dort aus plante er die Emigration seiner, in Deutschland verbliebenen Familie und organisierte eine Ausreise, die am 10. November 1938 geplant war.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 lag die Familie bereits in den Betten mit den Gedanken bei der Ausreise am nächsten Morgen, als plötzlich uniformierte SA-Männer in die Wohnung eindrangen, die Inneneinrichtung komplett verwüsteten und die Familie Moszkowicz unter Schlägen aus der Wohnung fliehen musste. Unter großer Angst floh die Familie zum Ahlener Marktplatz wo sie gezwungen wurde, „Wir Juden sind alle Mörder und Verbrecher“ (Lebensgeschichte I. Moszkowicz) zu rufen. Die Familie kam zunächst bei einer jüdischen Verwandten unter, die in einer sog. „Mischehe“ lebte. Da deren nicht-jüdischer Ehemann jedoch Repressionen befürchtete, musste die Familie Moszkowicz auch diese Unterkunft verlassen, um schließlich in einem Ahlener Obdachlosenasyl unterzukommen.
Durch strengere Einreisebedingungen in Argentinien sowie dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939, wurden die Ausreisepläne der Familie endgültig verworfen. Imo und sein Zwillingsbruder Aron, genannt Amo, konnten die jüdische Volksschule nicht bis zu ihrem Abschluss besuchen, da der Schulbetrieb am 1. Juli 1939 eingestellt wurde. Daraufhin wechselten sie auf die Handwerkerschule in Dortmund, wo Imo eine Tischlerlehre und Amo eine Schlosserlehre anfingen.
Als die Stadt Ahlen ungewöhnlich früh, im Herbst 1939, beschloss: „Ahlen muss judenfrei werden“, musste die Familie nach Essen in einen leerstehenden Verkaufsraum einer ehemals jüdischen Metzgerei und später in eine Wohnung am Gänsemarkt ziehen (Lebensgeschichte I. Moszkowicz). Zu dieser Zeit versorgten die älteren Geschwister die Familie durch Arbeiten bei einer Tiefbaufirma. Therese Münsterteicher versorgte die Familie weiterhin, auch unter großer Gefahr erwischt zu werden, mit Lebensmitteln.
Im Alter von 16 Jahren wurde Imo zusammen mit seinen Brüdern Hermann und David bei RWE zur Zwangsarbeit verpflichtet. Sie mussten anfangs im Straßenbau arbeiten und später als Zimmermänner die Verdampfertürme eines Kohlekraftwerks mit Holz auskleiden. Unter dieser schweren Arbeit brach Imo zusammen und er hatte Glück, dass sein Vorgesetzter Mitleid zeigte und ihn zu Aufräumarbeiten versetzte, die deutlich weniger kraftraubend waren. Als er sich wieder etwas erholt hatte, wurden er und seine beiden Geschwister mit dem Zerkleinern von Kohle beauftragt, einer Schwerstarbeit, die sie in 12 Stunden-Schichten zu bewältigen hatten.
Die Deportationen der Familie Moszkowicz
Am 21. April 1942 wurden Imos Mutter Chaja, sowie seine Geschwister Rachla, Moses, Gisela und Amo nach Düsseldorf zum Schlachthof gebracht. Von dort wurden sie am nächsten Tag nach Izbica deportiert . Sie überlebten den Holocaust nicht. Wo und wann sie starben ist unbekannt. Die drei Brüder Hermann, David und Imo wurden vorerst nicht deportiert, da sie weiter Zwangsarbeit bei RWE leisten sollten. Sie mussten jedoch aus der Wohnung am Gänsemarkt ausziehen und wurden in dem Barackenlager Holbeckshof in Essen-Steele interniert.
Als David Moszkowicz am 28. Oktober 1942 mit seinem Freund Walter Spanier ein Kino besuchte, wurden die beiden von der Kassiererin als Juden identifiziert und von ihr verraten. Juden war es zu dieser Zeit verboten einen Kinosaal zu betreten. Während Walter Spanier in einer sog. „privilegierten Mischehe“ lebte, und deshalb „nur“ eine 21-tägige Schutzhaft überstehen musste, kam David Moszkowicz zunächst ins Essener Polizeigefängnis und wurde kurz darauf nach Auschwitz deportiert. Als Imo selbst etwas später nach Auschwitz deportiert wurde, erzählten sich die anderen Gefangenen eine Geschichte über einen Jungen, der sich gegen einen SS-Mann körperlich zur Wehr setzte und daraufhin sofort erschossen wurde. Aus den Erzählungen und Personenbeschreibungen schloss Imo, dass es sich bei dem Jungen um seinen Bruder David gehandelt haben müsste.
Vier Monate nach der Deportation von David wurden auch die beiden verbliebenen Brüder Imo und Hermann ohne Vorwarnung auf der Arbeit aufgegriffen. Sie wurden zuerst nach Düsseldorf in ein Barackenlager in der Nähe der Firma Rheinmetall und anschließend nach Dortmund gebracht. Auch in Dortmund diente eine Viehhalle als Deportationssammelstelle. Imo erinnerte sich nach dem Krieg, dass sie dort vier Tage eingesperrt in der Viehhalle verbringen mussten, ehe sie in einem Viehwaggon nach Auschwitz geschickt wurden. Die grauenhafte Fahrt nach Auschwitz dauerte ebenfalls vier weitere Tage. Dieser Deportationsprozess fand demonstrativ in aller Öffentlichkeit statt und Imo konnte nicht begreifen, „dass die uns beobachtenden Dortmunder so hämisch feixten, als gelte es, einem Faschingszug zuzusehen.“ (Lebensgeschichte I. Moszkowicz)
Das Leben in Auschwitz
Auf der Rampe von Auschwitz-Birkenau sahen sich die beiden Brüder David und Imo zum letzten Mal in ihrem Leben. Hermann kam in die Kohlebergwerke des Auschwitzer Nebenlagers Jawischowitz, um dort Zwangsarbeit zu leisten. Dies war die letzte Spur von ihm. Er überlebte den Holocaust nicht.
Imo, der vier Monate nach seinem Zwillingsbruder Amo nach Auschwitz kam, meldete sich nicht, als an der Rampe alle Zwillinge aus der Gruppe Juden hervortreten sollten. Damit entging er unbewusst wahrscheinlich den grausamen Menschenversuchen des Lagerarztes Josef Mengele. Als jedoch an der Rampe nach Zimmerleuten gefragte wurde, trat Imo hervor und kam daraufhin mit einer Gruppe anderer jüdischer Handwerker nach Auschwitz III (Monowitz), wo sie für das Buna-Werk der IG-Farben Zwangsarbeit leisten mussten.
Nachdem Imo unter schwerer Misshandlung die Ankunftsprozedur (Kopfrasur, Tätowierung, Häftlingskleidung) über sich hatte ergehen lassen müssen, , wurde er im „Zementkommando“ eingesetzt. In diesem Kommando mussten die Häftlinge schwere Zementsäcke über das Werksgelände schleppen. Viele von ihnen starben an dieser harten Arbeit, aufgrund der mangelhaften Ernährung. Wenn die Häftlinge es nicht mehr schafften, ihren Soll zu erfüllen, wurden sie in den Gaskammern von Birkenau ermordet. Imo überstand diese Qualen und wurde nach einiger Zeit in die Zimmerei versetzt. Als er aufgrund einer schweren Beinverletzung auf die Krankenstation kam, sollte auch er ins Gas geschickt werden. In seiner Not flehte er Gustav Herzog, einem jüdischen Häftling, der für die Deportationslisten im Lager zuständig war, um Hilfe an. Herzog strich ihn tatsächlich von der Liste, ersetzte seinen Namen aber mit dem eines alten, vollkommen abgemagerten Häftlings. Imo war zwar glücklich, dass er dadurch überlebte, jedoch belastete ihn der Gedanke an diesen alten Mann sein Leben lang.
Auch danach hatte Imo weiterhin Glück im Unglück. Er traf einen anderen, nicht-jüdischen Häftling, der ebenfalls aus Ahlen stammte. Über ihn kam er an eine günstigere Arbeitsstelle und überlebenswichtige doppelte Essensrationen. Da die Zwangsarbeiter nicht mehr durch reine Todesdrohungen zu motivieren waren, organisierte die SS sog. „bunte Abende“, um so die Motivation und dadurch die für die Kriegsproduktion wichtige Zwangsarbeit aufrecht zu erhalten. Um dem schrecklichen Lageralltag etwas entgegen zu wirken, meldete Imo sich zu einer Schauspieltätigkeit für diese Abende und so wurde er nach einem Vorsprechen auch dafür angenommen.
Todesmarsch, Befreiung und Leben nach dem Krieg
Da die Rote Armee im Januar 1945 immer näher rückte, beschlossen die Nazis die Lagerinsassen auf einen sog. „Todesmarsch“ zu schicken. Am 18. Januar 1945 trieb die SS 15.000 Häftlinge aus dem Lager in Richtung Westen. Auf diesen Märschen starben sehr viele der Häftlinge an Erschöpfung oder wurden bei Fluchtversuchen von den begleitenden SS-Männern erschossen. Als am Horizont die Rote Armee bereits zu erahnen war, flohen die SS-Wachen und entledigten sich ihrer Uniformen. Imo und einige seiner Mithäftlinge fanden am Straßenrand Wehrmachtsuniformen, welche sie sich überzogen, um nicht von anderen Nazis im allgemeinen Chaos als Flüchtige erkannt und erschossen zu werden. Allerdings mussten sie sich dann auch vor den Alliierten in Acht nehmen, die sie nun leicht verwechseln bzw. nicht mehr als Häftlinge identifizieren konnten. Schließlich erreichten sie Liberec (Tschechien). Die Stadt wurde am nächsten Morgen nach ihrer Ankunft endgültig durch die Alliierten befreit.
Im Mai 1945 gelangte Imo, mit einem Militärkonvoi zum Rücktransport von ehemaligen Kriegsgefangenen, zurück nach Ahlen, wo er sich sofort auf die Suche nach seiner Familie machte, in der Hoffnung, dass auch sie überlebt hatten. Doch schon bald erlangte er die traurige Gewissheit, dass er der einzige Überlebende war. In den 50ern schaffte es Imo einen Kontakt zu seinem Vater in Argentinien herzustellen und ihn zu besuchen. Im Gegensatz zu Imo wollte der Vater aber nicht in Deutschland leben.
Imo sehnte sich nach Gerechtigkeit und so sagte er zwischen 1946 und 1949 als Zeuge in Gerichtsprozessen aus – im Prozess gegen den Düsseldorfer Gestapobeamten Hermann Waldbillig und im Ahlener „Kristallnachtprozess“. Hier musste er miterleben, wie die Angeklagten bis auf eine Ausnahme letztendlich freigesprochen wurden und er selbst als rachsüchtiger Zeuge durch die Anwälte dargestellt wurde. Auch im Düsseldorfer Prozess war seine Aussage von den Richtern u.a. mit der Begründung angezweifelt worden, er sei zu jung gewesen, um sich auf seine Beobachtungen verlassen zu können. Aufgrund dieser schlechten Erfahrungen lehnte Imo in den 19660ern ab, in den Auschwitzprozessen als Zeuge auszusagen.
Zurück in Deutschland begann Imo mit der Schauspielerei und verwirklichte sich so seinen Kindheitstraum. Neben einem Engagement an der Jungen Bühne Warendorf und einem Schauspielstudium an der Düsseldorfer Schauspielschule lernte er Gustav Gründgens kennen, der ihn förderte, unterstützte und als Regieassistenten einstellte. Nach neunjähriger Zusammenarbeit, in der Imo viele Kontakte knüpfen konnte, wagte sich Imo an das neue Medium Fernsehen – und wurde ein überaus erfolgreicher Regisseur. Er führte bis zu seinem Tod 2011 in über 200 Fernsehfilmen Regie und versuchte so die schrecklichen Erinnerungen etwas bei Seite zu schieben. Vergessen konnte er diese jedoch nie.
Autor: Stefan Mühlhausen