04.06.1897
Düsseldorf
–
12.04.1976
Düsseldorf
Berthold Winter stammte aus einer Düsseldorfer Viehhändler-Familie und hatte drei Geschwister. Vom Januar 1931 bis zum endgültigen Ausschluss aller Juden 1938 arbeitete er als selbstständiger Viehagent und Gewürzhändler auf dem Schlachthof in Derendorf. Seine Geschwister Hedwig und Edgar wurden von hier aus am 10.11.1941 in das Ghetto Minsk deportiert, seine Mutter am 21.7.1942 in das Ghetto Theresienstadt. Alle kamen dort ums Leben. Berthold Winter war durch seine katholische Ehefrau, mit der er eine gemeinsame Tochter hatte, vorerst vor der Deportation geschützt. Nach jahrelanger Zwangsarbeit in Düsseldorf wurde er dann am 17.9.1944 mit dem sog. „Mischehetransport“ in ein Arbeitslager nach Lenne/Holzminden verschleppt. Von dort aus kam er über Mieseburg bei Hannover in das Ghetto Theresienstadt. Hier erlebte er die Befreiung, zog zurück nach Düsseldorf und baute dort, mit den wenigen anderen jüdischen Überlebenden, die jüdische Gemeinde neu auf.
Literatur und Quellen:
Voigt, Angelika / Falk Wiesemann: Juden in Düsseldorf. Die Zerstörung der jüdischen Gemeinde während der nationalsozialistischen Herrschaft. Dokumente, Erläuterungen, Darstellung, Münster 1983; Stadtarchiv Düsseldorf, Entschädigungsakte 01.32.466.0019 (Berthold Winter); Landesarchiv NRW R, Ger. Rep. 372/89, Bl. 41 R/42 (Verfahren gegen Georg Pütz); Sammlung Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf (Berthold Winter)
Text: Stefan Mühlhausen
Berthold Winter war der Sohn des jüdischen Ehepaars Johanna Winter, geb. Löb, und Isidor Winter, in Düsseldorf. Das Ehepaar Winter betrieb Viehhandel in Düsseldorf und hatte neben Berthold noch drei weitere Kinder, die alle in Düsseldorf zur Welt kamen. Karl Winter wurde am 27. März 1895 geboren, Bertholds zweiter Bruder Edgar Winter am 7. Juni 1893, seine einzige Schwester, die Stenotypistin Hedwig Winter, am 24. August 1899. Karl Winter fiel am 22. Februar 1916 als Soldat im Ersten Weltkrieg. Edgar und Hedwig Winter wurden am 10. November 1941 nach Minsk deportiert. Weder Edgar noch Hedwig überlebten den Holocaust. Die Mutter, Johanna Winter, wurde am 21. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie auch am 27. April 1944 ums Leben kam. Der Vater Isidor war bereits am 17. Juli 1931 in Düsseldorf verstorben. Er liegt auf dem jüdischen Friedhof in Düsseldorf begraben.
Das Leben vor der Deportation
Berthold Winter heiratete im Jahr 1926 die Katholikin Anna Becker. Er arbeitete von 1924 bis Ende 1930 bei der Firma Jos. Heinemann als Einkäufer und ab Januar 1931 bis April 1933 als selbständiger Agent auf dem Schlachthof in Derendorf. Neben seiner eigenen Vieh-Agentur handelte er noch mit Därmen und Gewürzen. Nach dem 1. April 1933 durfte er, wie die meisten seiner jüdischen Kollegen, das Gelände des Schlachthofs nicht mehr betreten. Vor seiner eigenen Deportation war Berthold Winter noch einmal an seinem alten Arbeitsplatz, dem Schlachthof: am 9. November 1941, um sich von seinen beiden Geschwister, Hedwig und Edgar zu verabschieden, bevor sie in das Ghetto in Minsk deportiert wurden.
Nach seinem faktischen Berufsverbot am Schlachthof mussten die Winters mit dem bis dahin gesparten Geld auskommen – um eine Möglichkeit, auszuwandern, bemühten sie sich vergeblich. Am 7. September 1939 wurde Berthold Winter von Regierungsoberinspektor Alfred Quasten, dem für den „jüdischen Arbeitseinsatz“ zuständigen Beamten des Arbeitsamts, dienstverpflichtet und musste – wie viele jüdische Männer – in der Ziegelei Sassen in Gerresheim Zwangsarbeit leisten. Von Wehrdienst wurde er, wie alle jüdischen Männer, ausgeschlossen. In der Ziegelei war Winter bis April 1942 eingesetzt, anschließend leistete er noch von Oktober 1942 bis Mai 1944 Zwangsarbeit auf dem Südfriedhof, bei Straßenbauarbeiten und als Totengräber.
Bis 1942 wohnten Berthold und Anna Winter in der Heresbachstraße in Düsseldorf. 1942 wurden sie gezwungen, in ein sog. „Judenhaus“ in der Gartenstraße 112 zu ziehen, wo ausschließlich jüdische Mieter und Untermieter wohnten. Vor den Deportationen, die im Oktober 1941 begonnen hatten, war Berthold durch seine Ehe mit einer Katholikin geschützt. Am 27. März 1943 kam die einzige Tochter Inge zur Welt. Es fand sich auch ein Geistlicher, der seine Tochter katholisch taufte. Die Gestapo, die alle in „Mischehe“ lebenden Juden argwöhnisch beobachtete und sie andauernd schikanierte, war über den Nachwuchs sehr erbost, wie Winter nach dem Krieg berichtete. So hatte ihm der Gestapobeamte Pütz (vom „Judenreferat“ der Gestapo) bei einem „Hausbesuch“ wörtlich erklärt: „Ich könnte Ihnen das Genick umdrehen, dass Sie das Kind in die Welt gesetzt haben. Ich möchte Sie am liebsten kaputt machen“. Nach der Taufe brauchte Berthold Winter den „Judenstern“ nicht mehr zu tragen.
Bei dem Flieger-Großangriff auf Düsseldorf in der Nacht vom 11. Juni auf den 12. Juni 1943 wurde das Haus in der Gartenstraße 112 zerstört und Winter erhielt 300 Reichsmark als Vorschuss sowie 2 Paar Schuhe und Lebensmittelkarten, wie aus seinem überlieferten Ausweis für Fliegergeschädigte hervorgeht. Wo die Familie Winter nach diesem Angriff unterkam, ist unklar. Aus dem Ausweis geht außerdem hervor, dass die Familie Winter am 4. November 1944, nach einem weiteren schweren Luftangriff auf Düsseldorf, erneut eine Zahlung von 400 Reichsmark erhielt. Zu diesem Zeitpunkt war Berthold Winter jedoch schon deportiert worden.
Die Deportation
Im Sommer 1944 beschloss das NS-Regime, auch alle in „Mischehe“ lebenden jüdischen Menschen zu deportieren. Am 17. September 1944 musste sich Berthold Winter am Schlachthof einfinden und dort die Nacht in der Viehhalle verbringen. Tags darauf wurde Winter zusammen mit über 200 anderen Juden in ein Arbeitslager nach Lenne bei Holzminden deportiert. Dort Lenne blieb er bis zum 5. November 1944, dann wurde er in ein weiteres Arbeitslager bei Hannover verschleppt, wo er in der Zementfabrik Mieseburg Zwangsarbeit leisten musste. Am 16. Februar 1945 erfolgte schließlich der Weitertransport ins Ghetto Theresienstadt deportiert, wo er gezwungen wurde, in bis zu 16 Stunden-Schichten als Koch zu arbeiten.
Nach der Befreiung
Berthold Winter erlebte die Befreiung des Ghettos Theresienstadt am 8. Mai 1945 durch die Rote Armee. Über 2.313 Düsseldorfer Juden hatten den Holocaust nicht überlebt. Berthold Winter war einer der 57 Überlebenden, die 1945 die Düsseldorfer Jüdische Gemeinde wieder gründeten. Er wurde auch Mitglied in der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) und zog wieder in die Heresbachstraße 6 (später wohnte er noch in der Benderstraße 166).
Bis 1939 hatte Berthold Winter keinerlei gesundheitliche Probleme gehabt, doch dies war nun anders: Schon kurz nach seiner Befreiung aus dem Ghetto war eine Leberschwellung festgestellt worden. Vor allem aber litt er unter massiven Herzbeschwerden. Der Facharzt für Innere Medizin, Dr. Med. Richard B. Wahn diagnostizierte eine sekundäre Beschädigung des Herzmuskels, die seine Erwerbsfähigkeit zu 70% einschränkte. Dieses Herzleiden, wegen dem er sich fortan regelmäßig behandeln lassen musste, war durch die körperlich harte Zwangsarbeit, die Winter seit 1939 verrichten musste, sowie die Strapazen während seiner Verfolgung ausgelöst worden, wie ihm Dr. Wahn am 7. März 1949 bescheinigte.
Trotz seiner stark eingeschränkten Erwerbsfähigkeit meldete Winter am 17. Januar 1946 erneut ein Gewerbe als Viehhändler an, um sich und seiner Familie die Lebensgrundlage zu sichern. Er betrieb sein Gewerbe aber nur noch bis Anfang 1948, dann arbeitete er als selbständiger Vertreter der neu gegründeten India-Gewürzwerke Osnabrück.
Für die lange Zeit des beruflichen Ausfalls während der Zeit seiner Verfolgung, die Haftzeit, die Zwangsarbeit und die damit verbundenen körperliche und psychischen Schmerzen und Schäden, waren gesetzlich Entschädigungszahlungen vorgesehen. Für diese Entschädigungen musste Berthold Winter jedoch lange Zeit kämpfen. Nach zahlreichen Briefwechseln zwischen seinen Anwälten Dr. Dr. Josef Neuberger, Dr. Rudolf Pick und den verschiedenen Behörden, erhielt er ab September 1953 eine geringe monatliche Zahlung und erst im Herbst 1957 eine höhere einmalige Entschädigungszahlung. Das Amt für Wiedergutmachung wollte ihm dabei Anfangs nicht die ihm zustehende Summe bezahlen. Auch hierfür bedurfte es wieder Beschwerden und Einsprüche durch die Rechtsanwälte. Da die Zahlungen erst so spät erfolgten versuchte Winter, im Vorfeld über das Amt für Wiedergutmachung ein Darlehen zu erhalten, welches ihm jedoch bis zum April 1955 ebenfalls verwehrt wurde.
Der außergewöhnliche Kreis der Verbindung zwischen Winter und dem Schlachthof Derendorf schloss sich wieder, als Winter im Jahr 1957 in der Ratherstraße 19 wohnte – ein paar Meter vom Eingang des Schlachthofs entfernt. Berthold Winter starb am 12. April 1976 im Alter von 78 Jahren.
Text: Stefan Mühlhausen
Der Stammbaum wird aktuell überarbeitet und ist bald wieder verfügbar. Vielen Dank für Ihre Geduld.