18.07.1911
Aldenhoven
–
11.09.1995
Sosúa
Alfred war der älteste Sohn des Neusser Metzgers und Viehhändlers Max Cohnen und seiner Frau Sara. Er lernte wie sein Bruder Paul den Beruf des Vaters. Nach der Pogromnacht am 9./10.11.1938 wurden sie verhaftet und drei Monate im KZ Dachau inhaftiert. Kurz nach seiner Rückkehr, im Februar 1939, heiratete er Grete Winter aus Korschenbroich. Paul emigrierte in die Dominikanische Republik. Alfreds und Gretes geplante Emigration nach Chile scheiterte dagegen. Nur seine Mutter konnte noch im letzten Moment ausreisen, nachdem Alfreds Vater im März 1941 gestorben war. Alfred wurde am 11.12.1941 mit Grete, drei ihrer Brüder, ihren Eltern und seiner Schwägerin Hilde vom Düsseldorfer Schlachthof in das Ghetto Riga deportiert. Hier starb sein Schwager Kurt. Der Rest der Familie überlebte durch glückliche Umstände Zwangsarbeit und Selektionen, Alfred musste eine Zeit lang als Ghettopolizist arbeiten. Als die russische Armee näherkam, trieb die SS die Insassen in weiter westlich gelegene Konzentrationslager. Alfred kam in das KZ Bergen Belsen. Bei seiner Befreiung durch die britischen Truppen wog er 50 Kilogramm und war todkrank. Als er sich einigermaßen erholt hatte, ging Alfred nach Schweden, wo er Grete wiedertraf. Sie lebten eine Zeit dort und emigrierten dann mit ihrer kleinen Tochter Ruth nach Sosúa in die Dominikanische Republik. Hier betrieb Alfred gemeinsam mit seinem Bruder Paul einen Viehhandel.
Literatur und Quellen:
Website der Familie Cohnen http://www.sosuamuseum.org/private-museum-2/private/alfredo-cohnen-and-grete-winter-cohnen/
Interview mit Grete Cohnen, geb. Winter am 31.01.1996 in Kalifornien/USA (USC Shoah Foundation Institute testimony: http://collections.ushmm.org/search/catalog/vha11683)
Text: Joachim Schröder
Alfred wurde in einer kleinen Stadt in Deutschland geboren, wo sein Vater den Beruf des Viehhändlers ausübte – einen der wenigen, den Juden in dieser Zeit dort zugänglichen Tätigkeiten. Im Alter von nur 16 Jahren arbeitete er bereits und unterstützte seinen Vater, der gesundheitlich bereits sehr angeschlagen war. Er hatte einen sechs Jahre jüngeren Bruder, Paul, der noch zur Schule ging.
Mein Vater liebte Kinder – und die Beschäftigung mit Kühen. Er konnte mit bloßem Auge schätzen, wie schwer eine Kuh war, wie viel Kälber sie bereits geboren hatte und so weiter. Er hatte ein unglaubliches Gespür im Umgang mit Vieh, es war seine große Leidenschaft. Er liebte auch Puzzles, Kartenspiele, besonders „Zenser“, ein Kartenspiel, das auf dem französischen „Belote“ basierte. Alfred war geistig sehr flink, er liebte es, Witze zu erzählen, besonders deftige. Und er schrieb gerne neue, lustige Texte für Lieder, die er dann seiner Tochter Ruth und seinen Nichten Eva und Jeany (den Töchtern seines Bruders Paul) beibrachte.
Grete war die ernstere der beiden. Auch sie wuchs in einem kleinen Dorf in Deutschland auf, sie war die älteste von sechs Geschwistern und das einzige Mädchen. Sie musste schon sehr früh helfen, den Haushalt zu führen, denn ihre Mutter starb, als sie noch keine 16 Jahre alt war – und ihr jüngster Bruder Herbert war zu diesem Zeitpunkt erst drei Jahre alt. Auch ihr Vater war im Viehhandel tätig, und er war sehr aktiv in der jüdischen Gemeinde, als Vorbeter in der Synagoge. Die Familie lebte koscher und meine Mutter kannte sich in allen Belangen des religiösen, jüdischen Lebens sehr gut aus. Sie ging zur Schule und studierte, musste dies aber aufgeben, und sie fand eine Beschäftigung als Haushälterin bei der Familie Cohnen – hier lernte sie auch Alfred kennen und verliebte sich in ihn (sie heirateten am 28.2.1939). Auch Grete liebte Puzzles und alle möglichen Kartenspiele, sie reiste und las gerne. Sie war eine erstaunliche Köchin und Bäckerin – dies hat sie ihrer Tochter leider nicht vererbt. Und Grete liebte und praktizierte alle möglichen Sportarten.
Grete und Alfred wollten 1940 nach Chile ausreisen, aber in dem Moment, als sie sich entschieden, Deutschland zu verlassen, war es zu spät. Alfreds Mutter Sara und sein Bruder Paul waren bereits in die Dominikanische Republik ausgereist, doch sie saßen fest, zusammen mit Gretes Brüdern und ihren Eltern (der Vater hatte erneut geheiratet, die Schwester seiner verstorbenen Ehefrau). 1941 wurden sie in das Ghetto Riga deportiert, wo sie mehrere Jahre verbringen mussten und wo sie mehrmals durch glückliche Umstände mehrere Selektionen und „Umsiedlungen“ in Vernichtungslager überlebten. Grete belud für die Wehrmacht Schiffe im Hafen von Riga, Alfred arbeitete im Ghetto. Gretes liebster Bruder Kurt war ebenfalls im Ghetto, er musste im Vernichtungslager Salaspils arbeiten und dort die Toten begraben, er starb an Wundbrand (nachdem er sich, ohne jegliche Schutzkleidung arbeitend, an den Leichen infiziert hatte). Grete hat den Tod ihres Lieblingsbruders nie verwunden.
Gegen Ende des Jahres 1944, als sich die russische Front Riga näherte, wurde Alfred (über mehrere Umwege) in das KZ Bergen Belsen verschleppt. Grete kam nach einem Todesmarsch nach Lübeck, dann nach Hamburg, zusammen mit ihrer Schwägerin Hilde, der Witwe von Kurt. Grete wurde vermutlich durch die Rettungsaktion des schwedischen Grafen Bernadotte und des Roten Kreuzes befreit und kam in ein Lazarett in Schweden. Alfred war zu dieser Zeit immer noch in Bergen Belsen, er wog weniger als 50 Kilogramm und wäre beinahe an Typhus gestorben. Glücklicherweise wurde er von den von Montgomery kommandierten britischen Truppen befreit. Er verbrachte mehrere Monate in einem von den Briten geführten Krankenhaus und nur durch einen weiteren Glücksfall fand er Grete wieder. Keiner wusste, ob der andere noch am Leben war. Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus wurde Alfred ebenfalls nach Schweden geschickt, wo sie einander wieder trafen. Sie arbeiteten im Haushalt eines schwedischen Landbesitzers, Alfred im Garten, Grete in der Küche. Unerwarteterweise und für beide überraschend wurde ihre Tochter Ruth hier geboren. Da Alfreds Bruder Paul und seine Mutter Sara in Sosúa lebten, beschlossen sie 1949, ebenfalls in die Dominikanische Republik auszuwandern und wieder mit der Familie zusammenzuleben.
Alfred genoss das Leben in Sosúa, er war wieder unter seinen geliebten Kühen, zusammen mit seinem Bruder und seiner Mutter. Für Grete, die ein „zivilisiertes Leben“ (wie sie es nannte) bevorzugte, war es ein Kulturschock. Ruth fühlte sich in Sosúa wie ein Fisch im Wasser, im Alter von vier Jahren sprach sie besser spanisch als ihre Eltern. Die ersten Jahre in Sosúa lebten sie auf einer Farm in Bombita, dann zogen sie nach Batey in ein Haus in der Pedro Clisante Street, direkt gegenüber dem Postamt. Noch wichtiger: es befand sich direkt gegenüber vom Haus des Bruders Paul, seiner Frau, die ebenfalls Grete hieß, und ihrer Cousine Jeany.
Paul und Alfred arbeiteten ihr ganzes Leben als Partner im Viehhandel. Sie machten alles gemeinsam, auch den Sabbath feierten sie zusammen. Auch die Familien lebten sehr eng beieinander und bis heute fühlen sich die Cousinen als Geschwister. Sie spielten Karten zusammen, reisten zur Hauptstadt Constanza und zu anderen Orten. Die Familien waren wirklich vereint und für die Kinder war es so, als ob sie zwei Elternpaare hätten – eine sehr glückliche Situation.
Alfred verließ Sosúa nie, außer für einige Male. Er wollte nie emigrieren, er hatte seine Heimat gefunden. Er liegt auf dem Friedhof in Sosúa begraben, neben seiner Mutter. Nach dem Tod Alfreds kam Grete zu ihrer Tochter und ihren Töchtern in die Vereinigten Staaten und lebte mit ihnen, sieben Jahre lang. Sie starb 2008 in Los Angeles und ist dort begraben. Dies war ihr Wunsch.
Obwohl sowohl Grete als auch Alfred religiöse Juden waren, fasteten sie bemerkenswerterweise nie am Jom Kippur, dem Versöhnungstag. „Wir haben genug für zwei Leben gefastet“, meinten sie, in Anspielung auf ihre Zeit in den Konzentrationslagern. Diese Periode ihres Lebens hat beide tief geprägt. Alfred sei, sagte Grete einmal, durch diese Zeit ein vollkommen anderer Mensch geworden. Niemand könne, wie beide sagten, Erfahrungen wie ein T-Shirt abstreifen. Ihre Geschichten über den Holocaust und ihre Leiden haben einen unauslöschlichen Eindruck bei ihrer Tochter hinterlassen, schwierig manchmal, aber dennoch ein Teil ihrer Geschichte, eingeprägt auch in die folgenden Generationen.
Text: Ruth Cohnen
Der Stammbaum wird aktuell überarbeitet und ist bald wieder verfügbar. Vielen Dank für Ihre Geduld.